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Der Restzweifel - Neujahrstag 2020


Predigt zum Neujahrstag 2020 
beim Festgottesdienst zur Vereinigung der Kirchgemeinde 
Hainichen-Bockendorf-Langenstriegis

Jahreslosung: "Ich glaube, hilf meinem Unglauben!" (Markusevangelium 9, 24)

Wochenspruch: "Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit." (Hebräerbrief 13, 8)


Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.


Schrödingers Katze.
Die kennen Sie vielleicht.
Erwin Schrödingers Katze ist tot und gleichzeitig lebendig.
Paradox.
Aber so ist es.
Weil niemand sagen kann,
ob sie nur eines von beidem ist,
solange nicht nachgeschaut wurde.
Es ist ein Gedankenexperiment.
Die Katze ist in einer Kiste.
Die Kiste ist zu.
Mit der Katze in der Kiste ist Giftgas,
das durch einen bestimmten Mechanismus ausgelöst wird.
Sobald die Katze nun in der Kiste eingeschlossen ist,
beginnt der Mechanismus zu arbeiten
und irgendwann wird das Gas austreten.
Irgendwann, wird die Katze tot sein.
Aber ein Restzweifel bleibt.
In dem Moment, wo das Experiment beginnt,
ist die Katze gleichzeitig
tot und lebendig.
Ist sie nun tot oder doch noch am Leben?
Ein Restzweifel bleibt.
Beides ist möglich.
Bis jemand die Kiste öffnen wird,
besteht an beidem Zweifel.
Die Katze ist beides.

Bei den Vorbereitungen des Gottesdienstes,
dachten wir kurz darüber nach,
ob wir Friedrich in eine Torte packen,
aus der er dann gesprungen kommt.
Irgendwann im Gottesdienst,
als Stellvertreter des heutigen Bräutigams quasi.
Oder der Braut, wie auch immer.
Wir haben uns dagegen entschieden.
Aber auch da:
solange die Torte unberührt ist,
bleibt ein Restzweifel:
ist er drin, oder nicht,
der Friedrich in der Torte?

Wenn ich das Kommende vor Augen habe,
wenn etwas neues beginnt,
am Anfang von Neuanfängen,
da schleicht er immer mit umher:
der Zweifel.
Und wenn auch nur der leise.
Der Restzweifel.
Der bleibt.

Vergewisserung könnte helfen.
Wie wenn sich zwei trauen,
und sich das Ja Wort geben,
und dann ein Leben miteinander verbringen wollen,
dann reicht das eine Ja nicht,
dann müssen wir uns gegenseitig vergewissern:
Ich liebe dich. Immer noch.
Liebst du mich, immer noch?
Ich muss dich fragen.
Du musst es mir sagen,
wie es dir mit uns geht.
Weil du wie eine Kiste bist,
in die ich nicht hineinschauen kann.
Weil unsere Zukunft nicht einsehbar ist.
Es kann hier enden oder weitergehen,
oder anders werden.
Alles gleichzeitig.
In diesem Moment,
bis du sagst:
Ich liebe dich.
Hoffentlich.
Wir müssen beide wollen,
auch wenn ich vielleicht nicht sicher sein kann.

Wenn ich das Kommende vor Augen habe,
wenn etwas neues beginnt,
am Anfang von Neuanfängen,
da schleicht er immer mit umher:
der Zweifel.
Und wenn auch nur der leise.
Der Restzweifel.
Der bleibt.

Wie bei einem Vater mit seinem kranken Sohn.
Er hat ihn zu Jesus gebracht.
Der soll helfen können.
Sagt man.
Aber kann er auch?
„Wenn du etwas kannst“,
sagt der Vater zu Jesus.
„Wenn du kannst“,
erwidert Jesus.
„Alle Dinge sind möglich, dem der glaubt.“
Da ist kein Restzweifel bei Jesus.
„Alle Dinge sind möglich, dem der glaubt.“
Und ich fühle, wie der Vater zittert,
schmerzen in der Seele,
wie der Sohn am ganzen Leib,
als müsste er das und noch vieles mehr
herausschreien,
mehr hat er nicht zu geben:
Glauben ja, aber ein Restzweifel bleibt,
denn die Krankheit meines Sohnes
währt schon so lange,
sie ist so hartnäckig
und keiner konnte ihr bisher etwas entgegensetzen.
„Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“
ruft der Vater.
Das lässt sich Jesus nicht zweimal sagen.
Es ist, als träte er in die Lücke hinein,
in den Graben des Zweifels,
in den Spalt des Restzweifels,
tritt Jesus und beendet das Beben,
die Krankheit, die mich hin und her reißt,
das, was mich manchmal noch zu Fall bringt,
stumm, wie der Junge, aber mächtig,
wie die Gewalten von Feuer und Wasser.
„Ich glaube, hilf meinem Unglauben!“
ruft der Vater.
Wie bei Petrus auf dem See,
als der Zweifel kam, mit dem Sturm und den Wellen,
„Herr, hilf mir!“,
rief der ertrinkende Petrus,
gelähmt von seiner Angst,
und die Hand Jesu
schnellte hervor und ergriff ihn
und zeitgleich musste sich Petrus die Frage gefallen lassen:
„Du Kleingläubiger, warum hast du gezweifelt?“
Tja, warum?
Weil ein Restzweifel bleibt.
Weil ich nicht in die Kiste schauen kann,
um zu wissen, wie es Schrödingers Katze geht.
Weil ich nicht genau wissen kann, was kommt,
wenn etwas neues beginnt.
Weil ich zwar glaube,
aber nicht weiß.

Ich glaube,
dass Gott ein anderes Wort für
Immerda ist,
dass viele zusammen und auch einzelne
wie Engel sein können,
dass der Himmel genau hier beginnt,
dass Zitroneneis manchmal auch eine Lösung ist,
dass hundert Zweifel heiliger sind,
als ein Schulterzucken,
ich glaube,
hilf meinem Unglauben!

Wie Paulus,
der nicht wissen konnte,
was aus der guten Nachricht wird,
die er in alle Welt trug.
Wie Dietrich Bonhoeffer,
der nicht wissen konnte,
was das neue Jahr bringt
und ob er es überhaupt noch erleben würde,
und der dennoch schreibt:
von guten Mächten wunderbar geborgen,
erwarten wir getrost, was kommen mag,
Gott ist mit uns,
am Abend und am Morgen und ganz gewiss,
an jedem neuen Tag.
Ganz gewiss.
Ich glaube,
hilf meinem Unglauben!

Und ein Kind wird geheilt,
von einer schweren Krankheit.
Petrus gelangt aus dem Wasser
in das sichere Boot zurück;
der Sturm legt sich.
Und die gute Nachricht von Jesus
geht seit Paulus um die ganze Welt.
Und ein Gebet Dietrich Bonhoeffers,
das seiner Familie damals Mut machen sollte,
ermutigt seither Generationen:
Gott ist mit uns,
am Abend und am Morgen und ganz gewiss,
an jedem neuen Tag.
Ganz gewiss.
Und dennoch bleibt ein Restzweifel.
Weil ich nicht in die Kiste schauen kann,
um nachzusehen, wie es der Katze geht.

Ich weiß nicht,
was dieses neue Jahr bringen wird;
ich weiß nicht,
was die neuen Strukturen für unsere Gemeinden bedeuten;
ich weiß nicht,
ob wir als vereinigte Kirchgemeinden
immer gut miteinander auskommen werden,
ob es nicht auch hohe Emotionen geben wird,
wie das nunmal ist, wenn sich Menschen zusammentun,
um miteinander zu leben;

Aber ich glaube,
dass Gott ein anderes Wort für
Immerda ist;
dass viele zusammen und einzelne
wie Engel sein können;
dass der Himmel genau hier beginnt;
dass wir manchmal auch ein
Zitroneneis miteinander brauchen werden;
dass hundert Zweifel heiliger sind
als ein Schulterzucken;
ich glaube,
hilf meinem Unglauben.

Und dort tritt Jesus hinein.
Mitten in den Restzweifel,
stellt er sich und steht fest.
Es ist, als träte er in die Lücke hinein,
in den Graben des Zweifels,
in den Spalt des Restzweifels,
tritt Jesus und beendet das Beben,
die Krankheit, die mich hin und her reißt,
das, was mich manchmal noch zu Fall bringt,
stumm, wie der Junge, aber mächtig,
wie die Gewalten von Feuer und Wasser.
Und die Hand Jesu schnellt hervor,
ergreift mich,
der Sturm wird still,
das Wasser auch.
Nur das Feuer in mir,
das lodert heiß.
Das ist mein Glaube.
Für alles andere,
auch für den Restzweifel,
der umherschleicht,
gibt es Vergewisserung,
wie ein „Ich liebe dich.“
zugehaucht in der Abendsonne:
Jesus Christus gestern und heute und derselbe auch in Ewigkeit.

Ich glaube,
dass uns das tragen wird,
egal was kommt,
in diesem Jahr,
in den Jahren nach der Vereinigung
unserer Gemeinden,
auf allen Wegen,
die wir jeder für sich oder gemeinsam gehen.
Egal, was andere sagen:
Schrödingers Katze,
die lebt.
Und gegen den Restzweifel,
ist es gut,
wenn ich sagen kann:
Ich glaube, hilf meinem Unglauben!


Und der Friede Gottes, der höher ist, als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.



Predigtlied:
EG 262, 1.5-7 ("Sonne der Gerechtigkeit")



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