Predigt zum 4. Sonntag nach Trinitatis, den 14.07.2019, in der St. Wenzelskirche zu Pappendorf.
Gnade sei mit euch und Friede von
Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Elsa und Emma stehen auf dem
Pausenhof.
Sie streiten.
„Du bist voll schlecht in Himmel
und Hölle!“, sagt Elsa.
„Gar nicht!“, sagt Emma. „Du
triffst doch nie die Vierecke mit den Füßen.“
„Und du noch viel weniger! Und
außerdem bist du voll langsam!“, sagt Elsa.
„Selber!“, schreit Emma.
„Selber vielmehr!“, schreit
Elsa zurück.
Elsa und Emma stieren einander an.
Dann geht Elsa schnaubend weg.
Emma bleibt zurück.
Eigentlich sind Elsa und Emma die
besten Freundinnen.
Unzertrennlich.
In den Ferien verbringen sie jeden
Tag beieinander.
In der Schule sitzen sie
nebeneinander.
In den Pausen spielen sie
miteinander.
Jetzt hat der Wind gedreht.
Es ging um Himmel und Hölle.
Dabei haben sich die Gemüter
entzündet.
Komisch eigentlich.
Jedes Kind weiß doch wie das
geht.
Himmel und Hölle.
Viel falsch machen kann man dabei
wohl nicht.
Ich will ehrlich sein:
ich habe nicht die geringste
Ahnung, wie Himmel und Hölle geht.
Es hat sich mir einfach noch nie
erschlossen,
wenn ich dieses Quadratekreuz aus
Kreide auf dem Boden sah.
Für einen Pfarrer wohl nicht
unbedingt die beste Voraussetzung.
Aber gut.
Ich kenne dafür Elsa und Emma.
Und ich behaupte, ich wüsste
etwas zumindest über den Himmel.
Und der, liegt sehr wahrscheinlich
gerade jetzt nicht zwischen Elsa und Emma,
wenn die eine der anderen den
Rücken kehrt und beide allein bleiben.
Als Elsa, immer noch wutentbrannt,
nach Hause kommt, trifft sie ihre Mutter.
Die ist reichlich verdutzt.
„Elsa, was ist denn los?“,
fragt sie.
„Und wo ist Emma? Wollte sie
nicht mit bei uns essen?“
„Hör mir bloß auf mit der!“,
blafft Elsa ihre Mutter an.
„Mit der will ich nichts mehr zu
tun haben! Die ist voll blöd. Die will mir den Splitter aus dem Auge
ziehen und sieht den Balken im eigenen Auge nicht!“
Elsas Mutter ist verblüfft: „Was?
Aber ihr seid doch beste Freundinnen!?“, fragt sie. „Und woher
hast du denn das mit dem Splitter und dem Balken?“
„Naja, heute sind wir es
jedenfalls nicht!“, sagt Elsa. „Und das mit dem Balken hab ich
aus Reli. Der Lehrer meinte irgendwas von 'zieh erstmal den Balken
aus deinem eigenen Auge, ehe du versuchst, den Splitter aus dem Auge
eines anderen zu ziehen, oder so. Fand ich gut.“
„Finde ich auch gut“, sagt
Elsas Mutter, „dass dir mal was aus Reli hängen geblieben ist.“
Elsa senkt den Kopf und Rollt mit
den Augen.
„Na, pass auf. Das Essen braucht
eh noch ein bisschen und da Emma nicht da ist, hast du ja auch nichts
besseres zu tun. Dann erzähle ich dir eine kleine Geschichte. OK?“
Elsa rollt wieder genervt mit den
Augen.
Sie bleibt aber sitzen.
„Gut.“, sagt Elsas Mutter.
„Sagen wir, es geht um zwei
Mädchen.“, hebt Elsas Mutter an.
„Sie waren so etwas wie beste
Freundinnen. Sie verbrachten jeden Tag miteinander. Und manchmal, da
ging es der einen Freundin nicht so gut und sie wurde sehr traurig
und bekam sehr schlechte Laune. Da wusste die Andere, was zu tun war.
Sie spielte nämlich wundervolle Musik. Und immer wenn die Eine
traurig und ärgerlich wurde, spielte die Andere Musik und es ging
der Einen wieder besser. So ging das lange. Und beiden ging es
miteinander gut. Nur merkte die Eine, die manchmal traurig wurde,
dass die Andere bei vielen anderen Kindern viel beliebter war und
viel schneller neue Freunde fand als sie. Das machte sie nach und
nach immer eifersüchtiger.“
„Blöde Kuh!“, raunzt Elsa
dazwischen. „Kann Sie ihr das nicht gönnen?“
„Warte nur.“, sagt die Mutter.
„Die Geschichte ist ja noch nicht zu Ende.“
„Irgendwann waren die beiden
Mädchen keine Freundinnen mehr. Im Gegenteil. Die Eine verfolgte die
Andere. Die Eifersüchtige versuchte die Andere wo es nur ging
schlecht zu machen. Letztlich war es so, dass sie sich ganz aus dem
Weg gingen und die Beliebte gar vor der Eifersüchtigen floh.“
„Orrrr, die macht mich voll
wütend.“, raunzt Elsa wieder.
„Warte nur.“, sagt die Mutter.
„Die Geschichte ist ja noch nicht zu Ende.“
„Eines Tages war es nämlich so,
dass die Eifersüchtige mit einigen der wenigen Freunde, die sie
hatte, im Zelt übernachten wollte. Die andere, die Beliebte, wartete
aber schon mit einigen ihrer Freunde an dem Ort, an dem die Zelte
standen, darauf dass es dunkel würde. 'Jetzt, gleich, wenn sie
schläft, spielen wir ihr einen Streich, den sie nie wieder
vergisst!', sagten die Freunde der Beliebten. Aber ihr tat sie leid.
Sie wollte das nicht. Eigentlich, wollte sie nur ihre alte Freundin
zurück, auch wenn sie wusste, dass das nicht so einfach gehen würde.
Da nahm sie all ihren Mut
zusammen, schlich an das Zelt, in dem die Eifersüchtige schlief,
öffnete leise den Reißverschluss und schnitt ein kleines Stück aus
ihrem Schlafsack. Dann zog sie sich wieder zurück.
Am Morgen, als die Eifersüchtige
mit ihren Freunden gerade gehen wollte, kam die Beliebte mit ihren
Freunden dazu. Die Eine hielt der Anderen das Stück Stoff unter die
Nase und sagte: 'Heute Nacht wäre alles möglich gewesen. Wir hätten
euch zu Tode erschrecken können, oder pitschenass machen und euch
mit Federn überschütten können, oder was auch immer wir gewollt
hätten und jemand von uns hätte es gefilmt und ins Netz gestellt
und du wärst dem Hohn aller ausgesetzt gewesen. Doch ich wollte das
nicht.'
Und als die Andere da das Stück
Stoff des Schlafsackes sah und bemerkte, dass es aus ihrem Schlafsack
geschnitten war, begann sie zu weinen.“
„Und? Das war's?“, fragt Elsa.
„Im Prinzip schon, ja.“, sagt
die Mutter. „Was denkst du über die Geschichte, Elsa?“
„Naja, voll nett von der
Beliebten, dass sie die Eifersüchtige nicht bloß gestellt hat.“,
erwidert Elsa.
„Ja. Genau. Finde ich auch.“,
freut sich die Mutter.
„Und wie würdest du das nennen,
wenn du in einem Wort sagen müsstest, was zwischen den beiden
passiert ist?“, fragt die Mutter.
„Hm. Keine Ahnung.“, sagt
Elsa. „Verzeihen vielleicht?“
„Genau das.“, lächelt die
Mutter. „Verzeihen, vergeben, genau das.“
Elsas Mutter kenne ich nur
flüchtig und nicht gut genug, um zu wissen, ob sie sich wirklich gut
in der Bibel auskennt.
Aber die Geschichte, die sie Elsa
erzählt hat, die steht tatsächlich in der Bibel. Im 1. Buch Samuel
im 24. Kapitel. Nur, dass es dort zwei Jungs sind, die sich
gegenseitig an den Kragen wollen. Sie heißen: David und Saul. Und David
schneidet Saul in der Nacht heimlich ein Stück seines Gewandes ab,
um am nächsten Morgen zu zeigen, dass Sauls Leben in Davids Händen
lag, aber David es nicht genommen hat, obwohl er gekonnt hätte. Als
Saul das sah und hörte, begann er bitterlich zu weinen, weil er
merkte, dass David gut zu ihm war, obwohl er es nicht verdient hatte.
Erstaunlich, wie aktuell die Bibel
sein kann.
Und irgendwie geht es dabei ja
tatsächlich um Himmel und Hölle.
Auch wenn ich keine Ahnung von
diesem Spiel habe.
Aber immer dann, wenn ich jemanden nur bloß stellen will, wenn ich die Schuld beim Andern
suche und nicht mehr sehen kann, dass ich selbst tagtäglich
schuldig werde, dann rückt der Himmel ein Stück weiter weg.
Aber er könnte eigentlich schon
hier beginnen.
Überall dort, wo wir weniger
richten, und mehr vergeben.
Plötzlich klingelt es an der Tür.
Elsas Mutter öffnet.
Als sie Emma vor sich sieht, muss
sie lächeln.
„Komm nur herein, schön dass du
da bist.“, sagt sie.
Emma tritt ein und zieht die
Schuhe aus.
Als sie den zweiten Schuh
abgestellt hat und den Kopf hebt,
steht Elsa direkt vor ihr im Flur.
Sekunden vergehen.
Die beiden sehen einander an.
Dann nehmen sie sich wortlos in
die Arme.
„Versöhnung.“, denkt Elsas
Mutter, als sie die beiden so sieht.
Wie ich das sehe: Auf jeden Fall
mehr Himmel als Hölle. Da bin ich sicher.
Und der Friede Gottes, der größer
ist, als wir verstehen können, bewahre unsere Herzen und Sinne in
Christus Jesus. Amen.
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