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Predigt zu Jakobus 5, 13-16


07.10.2018 - 19. Sonntag nach Trinitatis

Predigt zu Jakobus 5, 13-16



Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Amen.

13 Leidet jemand unter euch, der bete; ist jemand guten Mutes, der singe Psalmen.
14 Ist jemand unter euch krank, der rufe zu sich die Ältesten der Gemeinde, dass sie über ihm beten und ihn salben mit Öl in dem Namen des Herrn.
15 Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden.
16 Bekennt also einander eure Sünden und betet füreinander, dass ihr gesund werdet. Des Gerechten Gebet vermag viel, wenn es ernstlich ist.


Ein Tag wie jeder andere. Ein Tag, wie tausend Tage sind.
Nichts weiter los in dem kleinen Städtchen hier.
Achim sitzt missmutig auf dem ersten Treppenabsatzes seines kleinen Häuschens.
Auch das, nichts Ungewöhnliches.
In der Regel sitzt Achim dort und blufft die Vorübergehenden an, die es wagen, zu lange herüber zu sehen.

Das war einmal anders.
Achim war vor Jahren ein fröhlicher Geselle. Das kleine Häuschen, eine liebe Frau, zwei Kinder, gute Freunde und eine Stelle als Lehrer an der städtischen Schule – das war seine Welt.
Und er liebte diese Welt sehr.

Dann kam der Tag, der nicht war wie jeder andere. Ein Tag, wie ihm kein anderer unter tausenden gleicht.
Das neue Schülerprojekt fraß Achim beinahe auf. Es gab so vieles zu bedenken und der Tag der Präsentation rückte immer näher. Der Lehrermangel und die vielen krankheitsbedingten Ausfälle nagten zusätzlich schwer an seinen Nerven – ständig tauchte sein Name im Vertretungsplan auf.
Zuhause schwoll der Ärger auch, weil Achim einfach zu wenig Zeit hatte – schon ein halbes Jahr ging das so. Wann würde das denn wieder ein Ende nehmen?
Und dann, dann stand plötzlich sein pubertierender Sohn in der Tür. Er hatte Achims Aktentasche in der Hand. Achim hatte alle Unterlagen für das Projekt darin. Die Tasche war völlig durchnässt. Achim geriet außer sich. Tatsächlich. Als hätte er sich selbst in diesem Moment verlassen und seither nicht mehr zurückgefunden. Er nahm die nasse Tasche und Hieb um Hieb flog die Tasche dem armen Jungen um die Ohren, um ihm diese Flausen ein für alle Mal auszutreiben.
Als Achim wieder zu sich kam, konnte er es selbst nicht fassen, nicht verstehen – sich nicht verstehen. War er das eben?
Er hob das weinende Bündel vor sich auf, doch der stieß ihn harsch von sich, blickte ihn mit funkelnden Augen nur ein einziges Mal noch an und ließ ihn stehen.
Noch viel weniger als sein Sohn, konnte Achim sich verzeihen.
Der Gedanke, so sein zu können, wie es geschehen war, so handeln zu können, wie er gehandelt hatte, erschreckte ihn vor sich selbst. Der Gedanke lähmte ihn. Und dieser Gedanke wollte einfach nicht mehr vergehen.
In jedem Blick sah er nun die funkelnden Augen seines Sohnes, die ihn mit so viel Verachtung trafen.
Das Projekt in der Schule brachte Achim nicht zu Ende. Er stand selbst auf dem Vertretungsplan, als einer, der krankheitsbedingt ausfiel.
Immer seltener wurden die Kontakte zu anderen.
Immer dünner der Faden zwischen ihm und seiner Frau.
Bis er schließlich riss.

Nun: Ein Tag wie jeder andere. Ein Tag, wie tausend Tage sind.
Nichts weiter los in dem kleinen Städtchen hier.
Achim sitzt missmutig auf dem ersten Treppenabsatzes seines kleinen Häuschens.
In der Regel sitzt er dort und blufft die Vorübergehenden an, die es wagen, zu lange herüber zu sehen. Zu unerträglich ist ihr Blick. Immer noch.

Es gab vier Menschen, alte Freunde, die sich vorgenommen hatten, Achim nicht aufzugeben.
Über die Woche wechselten sie sich ab und kümmerten sich um ihn. Sie versuchten ihn aufzumuntern, brachten ihm Essen und wollten ihn gern bewegen, aus der Lähmung des zermürbenden Gedanken wieder herauszukommen. Doch Achim blockte ab. Jede Verbindung zu anderen Menschen und zu sich selbst musste der Furcht vor sich selbst und der Verachtung im Blick seines Sohnes weichen.
Noch viel weniger als sein Sohn, konnte Achim sich verzeihen.
Er fauchte die Freunde an, obwohl er wusste, mit wie viel Einsatz sie sich um ihn mühten. Doch Tag für Tag, Woche für Woche, Jahr für Jahr, kassierten sie Undank, Frust und Häme.
Dass sie das für ihr guten Gewissen täten, warf Achim ihnen vor. Manchmal warf er auch die Tür wieder ins Schloss, wenn sie davor standen, um zu helfen.
Doch die vier blieben hartnäckig. Sie ließen nicht ab. Sie beteten unablässig für ihn, dass der Herr ihn aufrichten möge und ermunterten sich gegenseitig, nicht nachzulassen und Achim weiter zu helfen.

Dann kam der Tag, der nicht war wie jeder andere. Ein Tag, wie ihm kein anderer unter tausenden gleicht.
Jesus kam in das kleine Städtchen Kapernaum.
Von weit her kamen die Menschen und mit ihnen die Gerüchte, die sich inzwischen wie Legenden um Jesus rankten: Ein Heiler, ein Prophet, einer mit Macht von Gott, der erhoffte Messias, der Retter, der Sohn Gottes. Und zu jedem Prädikat kam ein ganzer Schwall von Geschichten nach, die seine Würde, seine Autorität und seine göttliche Kraft untermauerten.
Für die vier Freunde lag die Sache klar auf der Hand. Dieser Jesus muss Achim helfen. Heute oder nie, ist der Tag. Doch Achim würde seine Lähmung nicht überwinden. Er würde nicht zu Jesus gehen. Das war den Freunden klar.
Also schnappten sie sich eine Bahre. Vier Freunde, je einer an Händen und Beinen, schnallten sie Achim auf die Liege und trugen ihn zu dem Haus, in dem Jesus war.
Keine Chance. Alle Eingänge stehen bis auf die Straße mit Menschen voll, selbst an den Fenstern drängen sich Gesichter und wollen einen Blick auf den Meister werfen.
So stehen die Fünf nun: mitten auf dem Weg, acht Hände an der Trage und ein liegender, schimpfender, lachender Achim dazwischen: Was wollt ihr jetzt machen? Das nützt doch nichts! Das ist doch sinnlos! Ich werde euch alle verklagen! Wartet nur ab, rief er.
Da sah einer der Freunde einen Holzhaufen an der Seite des Hauses. Gerade hoch genug, um auf das Dach zu gelangen. Ein Blick, es brauchte keine Worte. Die Vier legten Achim auf den Weg, einer blieb bei ihm, ein anderer rannte los, um ein Seil zu holen und die verbliebenen Zwei kletterten auf das Dach. Schindel um Schindel nahmen sie vom Dachgebälk ab und rissen so nach und nach ein immer größeres Loch in das Dach. Lange blieb das nicht unbemerkt. Aber lang genug, um Achim am Seil zu befestigen, ihn mit größter Vorsicht erst auf das Dach und dann durch das entstandene Loch in das Haus hineinzuheben. Und ihn schließlich an der Stelle herunterzulassen, an der Jesus die Menschen gerade lehrte.
Wer leide, solle beten, sagte Jesus da gerade.
15 Und das Gebet des Glaubens wird dem Kranken helfen, und der Herr wird ihn aufrichten; und wenn er Sünden getan hat, wird ihm vergeben werden.
16 Bekennt also einander eure Sünden und betet füreinander, dass ihr gesund werdet.

Was für ein Mist, den der da redet, dachte Achim. Doch er konnte sich nicht aus der Umklammerung des Seils befreien. Zu sehr hatten die lähmenden Gedanken ihn längst starr gemacht, so dass auch seine Kraft mit den Jahren immer weniger geworden war.
Da lag er nun. Mitten im Raum. Alle Augen waren auf ihn gerichtet und aus all diesen Augen sahen ihn die großen funkelnden Augen seines Sohnes an. Achim konnte es nicht mehr ertragen. Er schloss seine Augen und weinte.
Als er sie wieder aufschlug, sah er mitten in das Gesicht Jesu.
Keine Anklage war in seinen Augen, keine Verachtung.
Er sagte nichts. Er sah ihn nur an. Als würde sein Blick gar nicht seine Augen treffen, sondern weiter reichen, bis an sein Herz hinan – jenes Herz, das Achim seit Jahr und Tag so gut geübt hatte, zu verbergen.
Nun war nichts verborgen.
Jesus hob den Arm, legte die Hand beruhigend auf Achims Stirn und sagte: „Mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben.“
Wie Blitze schoss es durch Achims Herz. Wie kann er das sagen? Warum sagt er „mein Sohn“? Weiß er denn von meiner Geschichte? Ich kenne ihn doch nicht. Und er, kennt er denn mich?
Ein Moment, wie ihm kein anderer unter tausenden gleicht.
Die Schuld hat Achim da nicht verlassen. Es ist auch nicht ungeschehen geworden, was geschehen war. Aber Jesus hat wohl eine Brücke geschlagen: eine Brücke der Vergebung über den hässlichen Graben der lähmenden Furcht vor mir selbst und vor anderen. Eine Brücke der Vergebung, ohne die wir nicht zueinander kommen. Wir Menschen nicht und wir Menschen nicht mit Gott. Gott selbst hat den Anfang gemacht.
Was aus Achim geworden ist, weiß ich nicht. Ich weiß nicht einmal, ob er überhaupt Achim hieß. Die Bibel erzählt nicht viel mehr, als dass Jesus, um seinen Gegnern ein Beispiel seiner Vollmacht zu geben, dann sagte: „Steh auf, nimm dein Bett und geh.“ Und er stand auf, nahm sein Bett und ging vor aller Augen hinaus.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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