Es
ist wohl eines der denkwürdigsten Gespräche, die uns berichtet
werden. Ein Nachtgespräch. Düster-dunkle Atmosphäre. Totenstille.
Und Nikodemus, ein gelehrter Jude, nutzt den Schutzmantel der
Dunkelheit, um mit Jesus zu sprechen. Doch Nikodemus, der Gelehrte,
kommt in diesem Gespräch kaum zu Wort. Hauptsächlich spricht Jesus.
Er spricht von sich – auch wenn Nikodemus das noch nicht wissen
kann. Jesus spricht von der Vergangenheit, der Gegenwart und vor
allem von der Zukunft:
14
Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der
Menschensohn erhöht werden, 15
auf
dass alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben. 16
Denn
also
hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf
dass alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das
ewige Leben haben.
17
Denn
Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt
richte, sondern dass die Welt durch ihn gerettet werde.
Doch
es ist eine Rettung mit Hindernissen: denn...
19
Das
ist aber das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und
die Menschen liebten die Finsternis mehr als das Licht
...
Wir
wissen nicht, wie sich die beiden am Ende verabschiedet haben. Das
berichtet Johannes nicht. Vielleicht war es aber so, dass Nikodemus
sich den letzten Satz Jesu zu Herzen nahm:
21
Wer aber die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht, damit
jeder sehen wird, dass seine Werke in Gott getan sind.
Und
dann, dann könnte Nikodemus wieder im Schatten der Dunkelheit
verschwunden sein...
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Wissen
Sie wogegen Sie sind?
Ich
meine, man kann ja gegen vieles sein.
Manche
sind gegen Atomkraft, andere gegen Kohleenergie.
Manche
sind gegen Klimaerwärmung, andere halten das für Quatsch und sind
gegen die, die gegen Klimaerwärmung sind.
Manche
sind gegen die Politik, wie sie gemacht wird. Gegen Trump, Putin,
Erdogan und wie sie alle heißen. Auch gegen Merkel.
Manche sind gegen Gewalt. Und so weiter und so
sofort.
Man
kann gegen vieles sein.
Ich
persönlich, ich bin gegen Mücken. Immer besonders im Sommer. Sonst
geht’s.
Schwieriger
wird’s, wenn ich gefragt werde, wofür ich bin.
Ich
meine, wenn ich gegen etwas bin, muss ich ja eigentlich im gleichen
Atemzug auch für etwas anderes sein. Aber das ist oft gar nicht so
einfach.
Darüber
muss ich mir oft mehr Gedanken machen.
Immerhin
muss ich mir dann auch immer gleich überlegen, wie ich etwas für
das tun kann, für das ich bin.
Ich
kann zum Beispiel für Klima- und Umweltschutz sein, aber damit ist
noch nicht viel getan.
Erst
wenn ich auch mein Leben danach ausrichte, auf Billigflüge
verzichte, auf Plastemüll und schlechte Produktionsbedingungen von
verschiedenen Produkten, nimmt das auch Gestalt an.
Oder
ich bin für gute, menschennahe und nachhaltige Politik, dann muss
ich mindestens auch wählen gehen oder mich selbst engagieren, damit
diese Politik auch sichtbar wird.
Dagegen
sein ist schnell gesagt. Aber für was bin ich dann? Das fordert mich
heraus.
Ich
persönlich bin ja gegen Mücken. Dann müsste ich wohl andererseits
für Spinnen und Kröten sein. In der Regel versuche, keine Spinnen
zu töten, wobei ich bisher bereits festgestellt habe, dass das
Hinaustragen von Weberknechten in der Pfarrwohnung eine echte
Sisyphusarbeit ist – sie sind überall. Naja, und mein Einsatz für
Kröten hat bisher auch nicht besonders weit gereicht.
Ich
denke ehrlich gesagt auch recht selten über mein persönliches
Krötenengagement nach. Es raubt mir schon gar nicht den Schlaf. Auch
dann nicht, wenn mich im Sommer nachts die Mücken piesacken. Da
liegt es mir dann doch näher, die Übeltäter zu jagen und einfach
gegen sie zu sein.
Den
alten Nikodemus muss damals auch etwas gepiesackt haben, als er zu
nachtschlafender Stunde durch die Dunkelheit schlich und Jesus
suchte. Vielleicht sollte es nicht ruchbar werden, dass einer wie er,
einer von den Angesehenen unter den Juden, einer der Gelehrten, Jesus
aufsucht. Jesus, der von vielen aus der jüdischen Oberschicht für
einen Hochstapler und noch mehr für einen Aufrührer und
Unruhestifter gehalten wurde. Besser also, so jemanden im Schutz der
Nacht zu besuchen. Ich glaube, Nikodemus wollte es damals gern
genauer wissen. Er wusste, dass viele seiner Gelehrtenkollegen gegen
Jesus waren. Doch Nikodemus war noch nicht entschieden. Er wusste
nicht, ob er für oder gegen Jesus war. Irgendetwas war dran, an dem,
was dieser Mann sagte und tat.
Ob
das Gespräch so verlaufen ist, wie Nikodemus sich das vorgestellt
hatte, lässt sich heute wohl nicht mehr sagen. Aber wenn ich den
Anfang des Gespräches lese, wo Jesus von Neugeburt redet und
Nikodemus wie ein Schuljunge ganz verständnislos nachfragt, wie das
denn gehen soll, dass ein alter Mann wie er noch einmal geboren wird,
dann bekomme ich schon den Eindruck, dass sich Nikodemus etwas
anderes vorgestellt haben könnte.
Und
ich bin sicher, dass Jesus das merkte. Denn er setzt neu an und
erzählt nun von einer Geschichte, die auch Nikodemus gut kannte: von
Mose, der in der Wüste eine aus Erz gefertigte Schlange an einem
Stab aufrichtet. Und dann spricht er davon, dass mit ihm das Gleiche
geschehen würde, also mit Jesus. Aber das verstand Nikodemus damals
sicher noch nicht. Das verstanden ja noch nicht einmal die engsten
Freunde Jesu.
Aber
was Nikodemus verstanden haben könnte: dass es um einen
Perspektivenwechsel geht.
Das
Volk Israel wurde in der Wüste von einer schlimmen Schlangenplage
befallen. Die Leute hatten Mühe, den Schlangen am Boden
auszuweichen. Viele sind diesen garstigen Schlangen zum Opfer
gefallen. So lange, bis Mose die aus Erz gefertigte Schlange an einem
Stab befestigte, in die Höhe streckte und alle, die diese Schlange
an diesem Stab ansahen, von den Schlangen am Boden nicht länger
behelligt wurde. Es war auch eine Schlange an diesem Stab.
Aber der Blick in den Himmel änderte die Perspektive der Menschen.
Ein Perspektivenwechsel.
Ich
kann in meiner eigenen Finsternis verwoben und gehalten sein, oder
ich kann den Blick aufheben, weg von meinen Füßen, wo ich nichts
mehr sehe als mich selbst und die Bedrohungen, denen ich ausgesetzt
bin.
Ein Beispiel:
Stellen
Sie sich vor, Sie hätten eine Pinnwand vor sich. Sie haben eine
Schachtel Reißzwecken, eine Kerze und ein Feuerzeug. Wie bringen Sie
die Kerze an der Pinnwand zum Brennen?
...
(Lösung: Schachtel Reißzwecken leeren, an die Pinnwand pinnen, Kerze reinstellen, fertig.)
Nicht
so einfach, wenn ich nicht alles in den Blick nehme, was ich habe.
Nicht so einfach, wenn mein Blick verengt ist auf die Schlangen am
Boden, die drohen, mich zu beißen.
Aber
wenn ich aufschaue, dann sehe ich vielleicht, dass es mehr zwischen
Himmel und Erde gibt. Dass da noch andere Menschen sind, die meine
Probleme teilen, und dass hinter und über all diesen Problemen noch
ein Himmel ist, aus dem Licht kommt, das die Dunkelheit besiegt. Und
dass der Kitt, der Himmel und Erde zusammenhält, die Liebe ist.
Und
deshalb glaube ich, dass Jesus damals im Gespräch mit Nikodemus
dieses Beispiel wählte – von Mose und der ehernen Schlange an
einem Stab. Nur, dass das Kreuz, an das Jesus gehen musste,
vielleicht das bessere Symbol dafür ist.
Das
Kreuz, die schlimmste Erniedrigung des Menschen zur Zeit der Römer.
Spott und Schande und Leid, vereint am Kreuz. Und doch gibt es kein
besseres Symbol für unseren Glauben.
Uwe
Altmann hat mir zur Grußstunde nach meiner Ordination dieses kleine
Taschenkreuz geschenkt. Und er sagte dazu, dass ein Balken die
Verbindung zwischen uns Menschen zeigt und ein Balken, die zu unserem
Gott. Das ist das Kreuz. Es markiert die Stelle, wo Himmel und Erde
sich begegnen. Ein Balken quer, von Mensch zu Mensch. Ein Balken
vertikal, von Mensch zu Gott. Und wo sich diese Linien Kreuzen, dort
finden wir Christus. Es ist auch ein
Mensch der dort hängt, aber er verändert die Perspektive.
Denn
so sehr
hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzigen Sohn gab, auf dass
alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige
Leben haben.
Und
dann ist es eigentlich nicht mehr so schwer. Dann kann ich immer noch
gegen vieles sein.
Aber
wenn ich für Jesus bin, den Sohn der Liebe Gottes, dann heißt das,
dass ich Gott liebe und alle Menschen wie mich selbst. Denn wer Gott
liebt, muss alle die lieben, die Gott liebt: nämlich alle anderen
und sich selbst. Und dann bleibt mir nur, auch danach zu handeln.
Oder wie Johannes das schreibt:
Wer
aber die Wahrheit tut, der kommt zu dem Licht, damit jeder sehen
wird, dass seine Werke in Gott getan sind.
Ich stelle mir vor, dass es über das Gespräch von Jesus
und Nikodemus Tag wurde, und Nikodemus ging nach Hause, nicht in der
Finsternis der Nacht, sondern am helllichten Tag, im Licht, berührt
von der Liebe, die der Kitt ist, der Himmel und Erde zusammenhält.
Und
der Friede Gottes, der höher und kräftiger ist als alles, was wir
verstehen können, schenke unseren Herzen und Sinnen Ruhe in Christus
Jesus, unserem Herren.
Amen.
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