Geistliches Wort
„Liebe Mitbürger“
so eröffnete Gustav Heinemann, der dritte Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland, schon seine Weihnachtsansprachen. Nachfolgende Politiker*innen taten und tun es ihm gleich. Es vermittelt ein wohliges Gefühl der Zugehörigkeit, auch wenn es nur eine rechtliche Zugehörigkeit meint. Als „Mitbürger“ sind das die Bürger*innen eines Staates. Menschen also, die das Bürgerrecht besitzen.
Gerade der 16. Juli erinnert in jedem Jahr an eine große und folgenschwere Trennung – also die Beendigung einer Zugehörigkeit. Sie ist lange her und stammt aus dem Jahr 1054. Gemeint ist die Trennung von damaliger Ost- und Westkirche. Die Kirche von Byzanz und die Kirche Roms, die wir heute als Orthodoxe und Katholische Kirchen kennen, gingen auseinander. Das Fass zum Überlaufen brachte ein „und“. Aber das können Sie sich in Ruhe einmal selbst zu Gemüte führen. Jedenfalls, so könnte man sagen, waren die einen plötzlich keine „Mitbürger“ der anderen mehr. Auch hier ging es vornehmlich um eine rechtliche Zugehörigkeit. Immerhin waren und sind beides christliche Kirchen, deren Mitglieder sich Christen nennen.
Und über solche Trennungsgeschichten können deutsche Biografien bis 1989 einiges Berichten. Auch hier waren die einen 40 Jahre lang keine „Mitbürger“ der anderen. Doch noch 30 Jahre nach der Aufhebung dieser Trennung mag zwar die rechtliche Zugehörigkeit weitgehend geklärt sein, aber die gefühlte Zugehörigkeit ist längst noch nicht so wohlig, wie es vielleicht wünschenswert wäre.
Über der neuen Woche, die am Sonntag beginnt, steht ein biblisches Wort aus dem Epheserbrief (2, 19), das gut dazu passt: „So seid ihr nicht mehr Gäste und Fremdlinge, sondern Mitbürger der Heiligen und Gottes Hausgenossen.“
Wenn ich nun an all die kleinen und großen Trennungen denke, die es damals wie heute – und heute wieder neu – gab und gibt, wünschte ich mir, dass sich nicht nur Christ*innen dieses Wort zu Herzen nähmen, das damals von Paulus an die zerstrittenen jüdischen und heidnischen Christ*innen in Ephesus gerichtet wurde. Es drückt den frommen Wunsch aus, Menschen nicht zuerst zu beargwöhnen, sondern sie als solche zu sehen, die gleiche Rechte haben und Mitbewohner dieser schönen Welt sind. In diesem Sinne: „Liebe Mitbürger“, ich wünsche Ihnen allen eine gute und gesegnete Woche.
Pfarrer Sebastian Schirmer, Bockendorf
Ev. Luth Kirchgemeinde Hainichen-Bockendorf-Langenstriegis
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