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Predigt zu Jeremia 20 am Sonntag Okuli


Predigttext: Jeremia 20, 7-11a:
7 HERR, du hast mich überredet und ich habe mich überreden lassen. Du bist mir zu stark gewesen und hast gewonnen; aber ich bin darüber zum Spott geworden täglich, und jedermann verlacht mich. 8 Denn sooft ich rede, muss ich schreien; »Frevel und Gewalt!« muss ich rufen. Denn des HERRN Wort ist mir zu Hohn und Spott geworden täglich. 9 Da dachte ich: Ich will seiner nicht mehr gedenken und nicht mehr in seinem Namen predigen. Aber es ward in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer, verschlossen in meinen Gebeinen. Ich mühte mich, es zu ertragen, aber konnte es nicht. 10 Denn ich höre, wie viele heimlich reden: »Schrecken ist um und um!« »Verklagt ihn!« »Wir wollen ihn verklagen!« Alle meine Freunde und Gesellen lauern, ob ich nicht falle: »Vielleicht lässt er sich überlisten, dass wir ihm beikommen können und uns an ihm rächen.« 11 Aber der HERR ist bei mir wie ein starker Held, 
(Luther 2017)
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Wenn Sie das machen, dann wird mein Vater Sie verklagen!“
Oder: „Mach doch, ich verklag dich!“
Das hört man heute vielerorts bereits auf Schulhöfen.
Verklagen ist Mode.
Dafür muss man nicht besonders viel getan oder falsch gemacht haben.
Es reicht schon, wenn ich meinem Gegenüber gerade einfach nicht so richtig in den Kram passe.
Und dann ist manchmal die Drohung mit dem Rechtsanwalt zumindest noch die rechtsstaatlich korrekteste Variante...

Wenn es zum Beispiel in den sozialen Medien zu einem sogenannten Shitstorm kommt, dann haben die Beschimpfungen oft nichts mehr mit einem rechtsstaatlichen Rahmen zu tun, geschweige denn mit Wahrung der Menschenwürde. Da geht es oft heiß her. Viele können ein Lied davon singen, die in den vergangenen Jahren eine Meinung vertraten, die mindestens einem Teil der Gesellschaft schwer gegen den Strich ging.
Aber Ankündigungen von Gerichtsverhandlungen und wüste Beschimpfungen sind keine neuen Phänomene der Internetgesellschaft. Man kann heute nur eher ihre Vielzahl viel schneller nachverfolgen, weil die Welt uns durch das Internet so zugänglich geworden ist.
Viele Menschen, die mit erheblichem Gegenwind zu kämpfen hatten, werden Ihnen sicher selbst einfallen.
Und es gibt sie noch.
Greta Thunberg ist wohl so jemand: die junge, schwedische Klimaaktivistin.
Judith Butler ist für mich so jemand: eine jüdische Philosophin, die versucht, für Gewaltfreiheit in all ihren Facetten einzutreten. Ich komme später noch einmal auf sie zurück.
Und klar: Martin Luther King Jr. war so jemand, der gegen den Geist seiner Zeit die Gleichheit aller Menschen aus dem Evangelium las und dafür aufstand.
Und dann war natürlich auch Martin Luther so jemand, der gegen den Geist seiner Zeit die vorbehaltlose Gnade Gottes für alle Menschen aus dem Neuen Testament heraus las und dafür aufstand.
Es ist eine beliebige Auswahl. Sie ließe sich frei erweitern und wir kämen vermutlich kaum zu einem Ende.
Und das ist gut. Gut, dass es solche Menschen gab und gibt.

Zu allen Zeiten haben diese Menschen Gegenwind erlebt. Menschen haben mit Fingern auf sie gezeigt, haben hinter ihrem Rücken geredet, haben Hohn und Spott über sie ausgeschüttet – oder wie es heute heißt, einen Shitstorm losgetreten. Und immer wieder haben Menschen gerufen: „Verklagt sie!“, „Verklagt ihn!“ und nicht wenigen von ihnen ist es auch so ergangen.

Eigentlich nicht schwer nachzuvollziehen, dass einem dabei auch die Puste ausgehen kann. Dass mir die Last meines Engagements zu viel wird, dass ich einsehe, dass der Kampf gegen Windmühlen ein vergeblicher ist; oder ich Angst bekomme – Angst vor den Konsequenzen meiner Handlungen, Angst vor noch mehr Hohn und Spott, vor Gericht und Gefängnis.
Eigentlich nicht schwer nachzuvollziehen, dass es jemand nicht mehr aushält und versucht, sich aus dem Staub zu machen.

Eine der für mich eindrücklichsten Geschichten des Alten Testaments erzählt genau davon:
Es war der Prophet Elia, dem es an den Kragen gehen sollte – buchstäblich, denn es ging um seinen Kopf. Sein letztes Wunder, bei dem er 800 falsche Priester entlarvt hatte, ging wohl einen Schritt zu weit. Als er daraufhin hörte, dass er verfolgt würde, flüchtete er sich in die Wüste, um dort zu sterben. Er hatte alle Kraft und allen Mut verloren. Warum sollte sein Kopf jetzt rollen, wo er doch für die Wahrheit aufstand und einstand!? „Es ist genug.“ sagte Elia und schlief in der Wüste ein, in dieser unwirtlichen, lebensfeindlichen Gegend, die vielleicht ganz so war, wie Elia sich fühlte. Da hätte es vorüber sein können mit dem großen Propheten. Doch so war es nicht. „Steh auf und iss.“ hörte er und sah ein geröstetes Brot und einen Krug Wasser. Und das geschah ein weiteres Mal: „Steh auf und iss, denn du hast noch einen weiten Weg vor dir.“ Hier ist es noch nicht zu Ende, schöpfe neue Kraft und setze deinen Weg fort. Und Elia ging. Er ging zum Berg Horeb, wo er seinem Gott, unserem Gott begegnete: nicht in einem Strum, nicht in einem Erdbeben und nicht in einem wilden Feuer, sondern in einem stillen, sanften Sausen.

Im Getöse der Welt, im Sturm des Alltags, in den Erdbeben und Feuersbrunsten der menschlichen Kämpfe, fällt es oft schwer, das stille, sanfte Sausen zu hören, in dem Gott dir und mir begegnet. Gut also, wenn wir uns Gelegenheiten dazu nehmen, selbst wenn sie aus der Erschöpfung geboren sind – so, wie damals bei Elia.

Und dann kann es manchmal auch sein, dass ich ganz gegen meinen eigentlichen Willen, einfach gar nicht anders kann, als aufzustehen und vorzutreten und meinen Mund aufzutun und zu sagen, was aus meinem Glauben spricht, zu sagen, was mein Herz mir sagt.
Und wenn ich nicht daran denken will und nichts sagen will, dann brennt es von innen wie Feuer, dass ich es kaum aushalten kann. Und so sehr ich mich mühe, es zu ertragen, will es trotzdem raus, obwohl ich weiß, dass schon die nächsten Beschimpfungen am Start sind, dass schon die nächste Klage ins Haus steht, dass schon die nächste Rache geplant wird. 
So ging es Jeremia, wie er schreibt.

Wohl dem, der dann noch weiß, dass unser Herr bei uns ist wie ein starker Held. Wohl dem, der dann noch auf die leisen Töne des stillen, sanften Sausens hören kann und weiß: Gott ist da.
So ging es Jeremia auch.

Ein spannender Typ, dieser Jeremia: Immer für ein Zeichen gut, das etwas mit seiner Verkündigung zu tun hatte. Eine zerbrochene Schüssel, für ein zerbrochenes Land, das sich von Gott abwendet. Ein neu erworbener Acker, der zeigt, dass wieder Häuser und Äcker und Weinberge in diesem Land gekauft werden.
Er hätte wohl auch einen Pflug durchs Feld ziehen können. Aber davon sprach viel später ein anderer, nicht Jeremia, sondern Jesus – auch ein spannender Typ, auch streitbar, auch beschimpft, verklagt und verurteilt. Er sagt: "Wer die Hand an den Pflug legt und sieht zurück, der ist nicht geschickt für das Reich Gottes." (Wochenspruch, Lk 9)

Aber was ist dann mit Elia und Jeremia? Waren die etwa nicht für das Reich Gottes unterwegs? Waren die nicht geschickt? 
Jeremia sagt doch selbst: 7 HERR, du hast mich überredet und ich habe mich überreden lassen. Du bist mir zu stark gewesen und hast gewonnen;
Er wurde berufen. Er wurde geschickt. Aber er hadert mit seiner Berufung, weil er immerzu gegen Frevel und Gewalt anschreien muss und der nächste Hohn und Spott schon vorprogrammiert sind.

Eigentlich nicht schwer nachzuvollziehen, dass einem dabei auch die Puste ausgehen kann und jemand zurück sieht und sich fragt, ob sich das denn alles auch wirklich noch lohnt.
Es gibt diese Momente des Zweifels, der Ungewissheit und der Entmutigung. Sie bleiben nicht aus. Ich glaube, dass auch Jesus sie kannte – spätestens im Garten Gezemane.

Aber wer die Hand an den Pflug legt, der pflügt das Feld dieser Welt für den guten Samen der Hoffnung: der Hoffnung auf eine Gemeinschaft, wie Jesus sie uns vorgelebt hat und der Hoffnung auf die kommende Welt unseres Gottes. Und wenn wir dieses Furchen nicht ziehen, wer wird sie dann ziehen, damit der Same gesät und die Saat aufgehen kann?
Wer die Hand an den Pflug legt, der muss einfach pflügen; oder anders: wer glaubt, der kann nicht anders, als im Glauben leben und vom Glauben reden; oder noch anders, nämlich mit den Worten des Propheten Jeremia: es ward in meinem Herzen wie ein brennendes Feuer, verschlossen in meinen Gebeinen. Ich mühte mich, es zu ertragen, aber konnte es nicht.

In der Zeitschrift für Philosophie wurde Judith Butler, die jüdische Philosophin, die ich zu Beginn erwähnte, einmal gefragt: Aber verkennen nicht auch Sie die Realität? In Ihren Schriften fordern Sie eine ‚gewaltfreie Ethik‘ – wie aber sollte so eine Ethik aussehen? Ist das nicht utopisch?“
Judith Butler antwortete: Alle sagen, ich sei unrealistisch. Das gefällt mir. Wäre es etwa besser, wenn niemand mehr auf eine gewaltfreie Welt hoffen würde? Wenn niemand mehr die Idee von einer gewaltfreien Welt aufrechterhielte? Mir scheint, dann wäre die Welt schlechter als jetzt. Sie wäre noch verarmter als jetzt. Also brauchen wir Leute in der Welt, die unmögliche Dinge sagen, oder? Um uns die Hoffnung zu erhalten, auch wenn sie nicht zu verwirklichen ist; um nicht zuzulassen, dass uns der eigene Horizont zusammenbricht und wir dann zu den Hoffnungslosen zählen.“
(Judith Butler, "Heterosexualität ist ein Fantasiebild", in: philosophie magazin 01/2013, S. 67ff.)

Ich denke dabei: Wer, wenn nicht wir als Christen, mit unserem Glauben, der herkömmliche Maßstäbe sprengt, der Hoffnung gibt und Zukunft verspricht; wer, wenn nicht wir, sollte in dieser Welt für die Hoffnung einstehen und die Hoffnung erhalten?
Und wenn mir die Kraft einmal ausgeht, dann wünsche ich mir, dass es Tage gibt, wie diesen, der mir zuruft: Oculi nostri ad dominum deum – unsere Augen sehen auf Gott, den Herren. Er spricht heute noch zu uns, wie der Engel zu Elia: „Steh auf, iss und trink, denn du hast noch einen weiten Weg vor dir.“ Und ich bin sicher, er wird mir unterwegs begegnen: im stillen, sanften Sausen – und mich versichern: der Herr ist bei mir wie ein starker Held.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. Amen.

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